Die abenteuerliche Wanderung der zehn Sandkörner
Ohne Quarzsand funktioniert in einer Gießerei nicht viel. Denn die Formen, in die das flüssige Metall gegossen wird, sind zu einem großen Teil aus Quarz. Sand ist für viele Branchen wichtig – das wissen wir! Aber wie ergeht es den Sandkörnern auf ihrer Reise? Sind Sie bereit für eine ganz besondere Geschichte, die vor allem in Haltern spielt?
Es waren einmal zehn Sandkörnlein. Jahrtausende hatten sie einträchtig zusammengelegen und tief unter der Erdoberfläche die Zeit verschlafen. Ihr Bettlein war feucht aber was konnte ihnen das schon anhaben. Sie hatten ihre Ruhe und träumten nur noch hin und wieder von der großen Wanderschaft, auf der sie im Geschiebe des großen Flusses bis in die Lippe-Niederung bei Haltern gekommen waren. Auf der Wanderung arg gestoßen, geschunden und geschliffen, waren sie jetzt kugelrunde, schöne, glatte Quarzkörner.
Rrrr … Schrrr … Flutsch Aus der Traum! Die zehn kleinen Sandkörner wurden von einem Saugbagger erfasst und durch ein dickes Rohr in einen riesigen Bunker ans Tageslicht befördert. Sie waren glücklich beieinandergeblieben. Aber kaum hatten sie sich in ihrer neuen Lage zurechtgefunden, ging schon wieder ein Geschiebe los. Schnell fassten sie sich an und hüpften gemeinsam über ein Sieb, wobei sie nicht verhindern konnten, dass Quäderchen das kleinste von ihnen, durch eine Maschine fiel. Sie hörten es noch schreien, aber dann stürzten auch sie durch ein anderes Sieb mit weiteren Maschen. Heute wüssten sie nicht mehr zu sagen, ob sie sofort in einen Eisenbahnwaggon gerieten oder erst noch in einem Bunker gelegen hatten. Jedenfalls rollte der Waggon und als er endlich stand, hörten sie jemand rufen: „Den natten Sand kömmt in die neije Sandaufbereitung…“
Die neun Sandkörner wurden in die große Schaufel eines Staplers geschippt und durch einen Gitterrost gekippt. Dann machten sie eine kurze lustige Fahrt auf einem Förderband, bis sie in den Trichter eines Becherwerkes stürzten. Kaum hatten sich die Neun mit noch vielen anderen Sandkörnern im Becherwerk zurechtgelegt, fielen sie auch schon wieder in ein Trommelsieb mit so weiten Maschen, dass sie gleich wieder draußen waren und auf einem Förderband landeten. Wieder ging es lustig schräg aufwärts, aber oben, wo das Band waagerecht lief, stellte sich ihnen mit mürrischem Gesicht ein Abstreicher in den Weg.
Der schob sie rücksichtslos in einen Neusandbunker. Dort lagen sie nun und besprachen ihr Schicksal, überlegten, wo Quäderchen wohl geblieben wäre, und dann schliefen sie ein. Wie lange sie geschlafen hatten, wussten sie nicht. Aber das Signal, nach dem plötzlich alles anfing zu zittern, zu beben und zu laufen, war nicht zu überhören. Außerdem schliefen unsere Sandkörnchen längst nicht mehr so fest wie in Haltern, wo sie zu nichts anderem da waren, als in der Erde zu schlafen und zu träumen.
Sehr bald hatten unsere Neun heraus, dass sie irgendwo waren, wo etwas von ihnen verlangt wurde. Zwei, die gut hören konnten, wollten den Namen „Flender“ vernommen haben. Kaum hatten sie sich das erzählt, lagen sie schon wieder neben vielen anderen Sandkörnern auf einem Band und langsam, ganz langsam wurden sie zum Ausgang des Bunkers geschoben. Hier fielen sie auf andere Körner, die ganz schwarz waren und Staub im Gesicht hatten. Gierig saugten diese den neun Körnchen das Wasser ab und stöhnten immerzu: „Wir sind Altsand! Wir sind Altsand!“ – Angst und bange wurde unseren Neun, als sie nun zusammen mit dem Altsand in ein Becherwerk fielen und ehe sie sich’s versahen, wieder in einem Bunker landeten. Dort lagen sie nur kurze Zeit, aber lange genug, um von den Altsandkörnern zu erfahren, dass ihnen etwas Schreckliches bevorstände. „Wenn wir Glück haben, kommen wir in den zweiten Mischer“, stöhnten die Altsandkörner, „wir können dann länger auf dem Sammelband fahren und kommen später in die Gießerei.“ „Gießerei?“ fragten die Neun erstaunt.
Aber noch ehe sie eine Antwort erreichte, stürzten sie in den riesigen Bottich eines Mischers, wurden durcheinandergewirbelt, von zwei dicken Walzenrädern mit dem Altsand verrieben und von Pflugscharen wieder hochgeworfen. Immer wieder fielen sie unter die Walze und wurden von neuem hochgewirbelt. Schon bald hatten sie sich verloren und jedes der neun Sandkörnchen versuchte, so tapfer wie möglich sein Schicksal zu tragen. Dabei wurden sie von den Altsandkörnern getröstet, obwohl auch diese in dem Wirbel mehr als genug mit sich selbst zu tun hatten. In all dem Durcheinander wurden sie nun auch noch mit Kohlenstaub und Betonit überschüttet.
Der Betonit war ein Puder, benahm sich sehr ritterlich und hüllte jedes Sandkörnchen säuberlich in ein weiches, schmiegsames, etwas klebriges Mäntelchen. Vielleicht wurde er sich seiner entfernten Verwandtschaft mit den Sandkörnern bewusst, hatte er doch selbst Jahrtausende lang als Ton in der Erde gelegen und war dann in vielen Mahl- und Kollergängen zusammen mit Soda aktiviert und zugepudert worden. Jedenfalls näherte er sich den Sandkörner charmanter als der Kohlenstaub, der sie gleich wie Kumpel auf Zeche mit Du anredete und sie, ohne zu fragen, knutschte und küsste, wobei sie ganz schwarz wurden. Wenn sie dann wieder unter die Walzenräder gerieten, wussten sie nicht einmal mehr, wer sie fester an sich gedrückt hatte, der Kohlenstaub oder der Betonit.
Etwas erträglicher wurde das Durcheinander, als sie alle zusammen mit Wasser übergossen wurden und die Wasserteilen versuchten, die Liebesglut von Betonit und Kohlenstaub zu dämpfen. Das gelang halbwegs beim Kohlenstaub. Der Betonit dagegen hüllte die Sandkörner nur noch fester in seinen Mantel.
Nach diesem Wirbel mit Betonit, Kohlenstaub und Wasser fielen die Sandkörner wieder auf ein Band, gerieten in eine Schleuder, fuhren erneut auf einem Förderband und fanden sich schließlich im Vorratsbunker vor einem Sandslinger oder über den Formmaschinen wieder. Äußerlich sahen sie nicht anders aus als die Altsandkörner, mit denen sie im Mischer gewesen waren. Sie waren nun schon Kummer gewohnt und empfanden es fast angenehm, als einige von ihnen mit einem Slinger auf ein Modell geschleudert, die anderen aber von einer Formmaschine auf ein Modell gerüttelt und gepresst wurden. Sie waren längst nicht mehr so spröde und trocken, ja sogar etwas eitel. Trotz ihrer Jugend gaben sie schon ganz schöne Formen ab.
Auch die Altsandkörner waren mit den Neun zufrieden. Drei von ihnen hatten in einer Kernmarke Platz gefunden. Als der Kern nun eingesetzt wurde, erschraken sie vor Freude; denn im Kern entdeckten sie Quäderchen, das in Haltern schon so früh durch eine Siebmaschine gefallen war.
Quäderchen war in einem Trockensandtransport über die Kernmacherei von Flender an seinen jetzigen Platz geraten. War das ein Wiedersehen und fröhliches Erzählen! – Quäderchen war es nicht ganz so schlecht ergangen wie den neun Sandkörnchen. Es hatte nur schreckliches Heimweh nach den anderen gehabt. In einer Kernsandmischmaschine hatte es sich mit dem Wasserglasbinder, einem älteren Junggesellen angefreundet. Er hatte sich aber erst in dem Geschiebe und Gestoße einer Kernbüchse zu einer festen Verbindung mit Quäderchen entschließen können, nachdem Fräulein Kohlensäure ihn scharf angeblasen hatte.
Kaum hatte Quäderchen seine Erlebnisse erzählt, fingen die Aufregungen schon wieder an. „Festhalten, es wird gegos … „. Der Rest des Schreies, der durch die Form hallte, erstickte unter dem Einlauf des flüssigen Eisens. Überall, wohin das Eisen kam, machte sich das Wasser buchstäblich aus dem Staube und ließ die Sandkörner allein. Nun waren sie froh, dass sie vom Kohlenstaub und Betonit geschützt wurden. Jetzt zeigte sich der Kohlenstaub doch als der mutigere Beschützer. Wo er nur konnte, nahm er den Kampf mit dem flüssigen Eisen auf. Lieber ließ er sich verbrennen und duldete nicht, dass den Sandkörnern etwas zustieß. Der Betonit dagegen rührte sich nicht mehr. Als das Wasser davonstob, klagte er nur noch über Durst und war kaum noch zu gebrauchen.
Bald erstarrte das Eisen, die Hitze ließ nach, und dann wurde der Formkasten auf einem Rüttelrost ausgeleert. Quäderchen aus dem Kern und eins seiner Geschwister, das sich mit anderen Sandkörnchen an dem Gussstück festhielt, kamen mit in die Putzerei. Mit dem Schutt wurden sie auf die Müllkippe geworfen und landeten in der Lehmgrube. Die anderen wanderten noch einige Male durch die Sandaufbereitung, bis auch sie in der Lehmgrube – endlich – zur Ruhe kamen.
Nun konnte die zehn Sandkörnchen wieder schlafen und träumen wie früher in Haltern. Wenn sie auch nicht mehr beieinander lagen, so fühlten sie sich doch wieder geborgen bei der alten Mutter Erde.
Die abenteuerliche Geschichte der zehn Sandkörner wurde bereits 1962 in der Werkszeitung der Firma A. F. Flender AG, Bocholt, veröffentlicht und erfolgt hier mit freundlicher Genehmigung des Unternehmens.
Der Verfasser, Herr Ing. (grad) Josef Mertens, war Leiter der Gießerei.