Die Mistel (Viscum album) oder: Nur ein schleimiger Schmarotzer?
Jetzt werden sie langsam sichtbar: Wenn die letzten Blätter gefallen sind, erscheinen in zahlreichen Bäumen große, kugelige Gebilde in den Wipfeln. Sie waren schon immer dort, allerdings im Laub verborgen.
Diese, bis zu einem Meter Durchmesser großen Kugeln sind Mistelsträucher.
Aber wie kommen sie dorthin, und wie halten sie sich in luftiger Höhe fest?
Das Wort Mistel gibt schon einen kleinen Hinweis: Es leitet sich aus dem Urgermanischen mihst ab, was tatsächlich Mist, Dung, Exkremente, Sekret bedeutet. Misteln gelangen durch Vogelkot, in dem die unverdauten Samen transportiert und ausgeschieden werden, in die Baumkronen. Auch wird der klebrige Samen von Vögeln mit dem Schnabel an den Ästen abgestreift und bleibt dort haften. Damit das funktioniert haben die weißen Mistelbeeren eine sehr schleimige Konsistenz (Viscum album bedeutet übrigens lateinisch weißer Leim, Kleber), sind aber für viele Singvögel höchst attraktiv. So ernähren sich die Misteldrossel, Amseln, Drosseln und durchziehende Wintergäste, wie die Seidenschwänze von ihnen.
Klebt der Samen erstmal an einem geeigneten Ast einer Pappel, Vogelbeere, Linde oder eines Apfelbaums schiebt er einen Schlauch mit Haftscheibe heraus, die auf der glatten Rinde ein Saugorgan ausbildet. Durch diese feste Verbindung können dann nach etwa 2 Jahren Wasser und Nährstoffe aus dem Wirtsbaum gezogen werden. Nach 3 Jahren hat die kleine Mistel erst 2 zarte Blätter, die Photosynthese betreiben können. Sie ist somit ein so genannter Halbschmarotzer. Jedes Jahr verdoppelt sich dann die Zahl der Blätter und Äste, so dass erst nach 40 Jahren etwa die maximale Größe von einem Meter Durchmesser erreicht ist.
Mythologie
Schon immer waren die Menschen beeindruckt von dieser seltsam anmutenden Pflanze hoch oben in den Bäumen. Deshalb spielt sie in der mythologischen Sagen- und Geschichtenwelt der Kelten, Römer und Germanen eine große Rolle. Ihre volkstümlichen Namen wie Donnerbesen, Druidenfuß, Hexenkraut, Bocksbutter oder Albrank lassen einiges erahnen!
Wir kennen sie z. B. aus den Asterix-Büchern, denn dort ist sie ein wichtiger Bestandteil des Zaubertranks, der auch Obelix ungeahnte Kräfte verleiht. Dafür muss der Druide Miracolix mit seiner goldenen Sichel auf die höchsten Bäume steigen um an den begehrten Stoff zu gelangen. Tatsächlich beschreiben römische Schriftsteller einen ähnlichen Brauch bei den keltischen Stämmen. Auch in der germanischen Sagenwelt trifft man auf Misteln im Zusammenhang mit dem obersten Gott Odin, und natürlich wurde und wird der Strauch auch als Arzneimittel benutzt.
Und was ist mit dem beliebten Weihnachtsbrauch, sich unter einem mistletoe zu küssen? Dessen Ursprung liegt in Großbritannien und den USA und hat wahrscheinlich auch keltische Wurzeln: Über Türen von Haus und Ställen aufgehängte Mistelzweige sollten böse Geister abhalten und Glück bringen.
Einen Versuch ist es immer wert!