Arbeitszeiten und Gewerkschaften im Wandel der Jahre

Uns gibt es seit fast 140 Jahren – und genau so lange gibt es auch Menschen, die für Quarzwerke arbeiten. Entweder im Tagebau oder im Büro, doch ein Arbeitstag heute ist nicht mehr vergleichbar mit einem Arbeitstag damals. Da sich in diesem Jahr die Einführung der 37,5 Stundenwoche zum 30. Mal jährt, nehmen wir das zum Anlass, uns im heutigen „Throwback Thursday“ die Entwicklung der Arbeitszeiten – und damit verbunden die Tarifverträge – mal genauer anzuschauen.

Die älteste bei Quarzwerke überlieferte „Arbeitsordnung“ ist die der Cöln-Frechener Cristallsandwerke aus dem Jahr 1905. Diese beschreibt ganz ausführlich, wie das Arbeitsverhältnis zustande kommt und unter welchen Bedingungen und Verhaltensweisen gearbeitet wird. Die Arbeit begann morgens um 6 Uhr und endete um 6 Uhr abends. Bei einer halben Stunde Pause am Morgen, einer Stunde Mittagspause und noch einmal einer halben Stunde Pause am Nachmittag, wurden 10 Stunden an 6 Tagen pro Woche gearbeitet. 60 Stunden in der Woche war damals ganz normal!

Der Lohn wurde 14tägig ausgezahlt, der Arbeitgeber zahlte Beiträge in die Krankenkasse sowie in die Alters- und Invalidenversicherung ein. Äußerst interessant ist, dass es zusätzlich Strafbestimmungen gab, die die Einhaltung der Arbeitsordnung sicherstellten. Geahndet wurden hier kleinere „Übertretungen“ von Zu-spät-kommen über den Genuss von „geistigen Getränken“ (gemeint ist Alkohol, A.d.R.) bis hin zu kleineren Verstößen gegen Unfallverhütungsvorschriften. Es mussten Strafgelder in Höhe eines halben oder ganzen Tageslohns – je nach Schwere der Übertretung – in eine Gemeinschaftskasse gezahlt werden, deren Inhalt am Ende eines jeden Jahres „zu gleichen Teilen“ an die Mitarbeiter ausgezahlt wurde. Das wäre heute UNVORSTELLBAR.

In dieser ersten Arbeitsordnung ging es hauptsächlich noch darum, den Arbeitsbetrieb aufrecht zu erhalten und die Sicherheit der Mitarbeiter zu gewährleisten. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts hat sich aber einiges in Bezug auf Arbeitszeiten sowie Arbeitsschutz getan und die Work-Life-Balance wurde immer wichtiger. So wurde Mitte der 50er Jahre die 5-Tagewoche eingeführt und die Arbeitszeit immer weiter reduziert. Aktuell haben wir bei den Quarzwerken eine 37,5 Stundenwoche. Vorreiter waren hier meist die Regelungen in Schlüsselindustrien, wie der Metall- und Elektroindustrie. Aber auch die IG BCE (Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie), die für die Quarzwerke zuständig ist, hat die Regelungen schnell umgesetzt.

Die Gewerkschaften werden geboren

Die Gewerkschaften entstanden in den Revolutionsjahren der Industrialisierung. Ab den 1830er und 1840er Jahren bildeten sich Verbände einzelner Berufsstände, insbesondere der Fabrikarbeiter, die bessere Arbeitsbedingungen forderten und sich dazu organisierten (mehr zur Geschichte der Gewerkschaften).

Die IG BCE entstand 1997 durch die Fusion der IG Bergbau und Energie mit der IG Leder und der IG Chemie-Papier-Keramik und (die Quarzwerke waren Mitglied der IG CPK). Marvin Güth, Gewerkschaftssekretär der IG BCE, hat uns im Interview fünf Fragen zu Thema Arbeitszeiten und der Geschichte der Gewerkschaft beantwortet.

Herr Güth, Sie sind seit Juli 2023 der neue zuständige Gewerkschaftssekretär für die Quarzwerke. Bitte stellen sie sich unseren Mitarbeitern doch einmal vor.

Mein Name ist Marvin Güth. Ich bin 26 Jahre alt und arbeite seit drei Jahren für die IGBCE unter anderem war ich in Düsseldorf, in Cottbus und in Hannover eingesetzt, bis ich jetzt wieder im Bezirk Köln-Bonn angekommen bin. Das ist für mich total praktisch, da ich auch in Frechen wohne und dadurch einen viel kürzeren Weg in die Betriebe und habe. Bevor ich hauptamtlich bei der Gewerkschaft angefangen habe, war ich Chemielaborant bei einem großen Chemiekonzern in Essen. Dort war ich in der Jugend- und Auszubildendenvertretung aktiv und bin dadurch immer stärker in die Mitbestimmungsstrukturen und auch die gewerkschaftliche Arbeit gekommen.

Wenn ich nicht gerade arbeite, mache ich gerne alles an Wassersportarten, egal ob Kajak fahren oder Tauchen.

Marvin Güth (C) IG BCE

Im Beitrag haben wir kurz angedeutet, dass die Gewerkschaften eine lange und interessante Geschichte haben. Können Sie uns etwas über Geschichte der IG BCE erzählen?

Die IG BCE ist aus der Fusion dreier deutschen Gewerkschaften entstanden: der Industrie Gewerkschaft Bergbau und Energie (IG BE), der Gewerkschaft Leder (GL) und der Industrie Gewerkschaft Chemie-Papier-Keramik IG CPK. Die Fusion wurde am 1. Juli 1997 vollzogen und damit war die IG BCE die drittgrößte Gewerkschaft im Deutschen Gewerkschaft Bund (DGB).

Das war aber alles andere als einfach, denn die Strukturen der drei Gewerkschaften waren schon sehr verschieden. Die IG BE war in Ortsgruppen organisiert, die IG CPK mit Vertrauensleuten als ehrenamtliche Funktionäre, die direkt in den Betrieben sind. Da man sich nicht auf eines der beiden Modelle einigen konnte, hatte die IGBCE dann am Ende beide Strukturen beibehalten. Politisch ergab es Sinn, die Fusion zu diesem Zeitpunkt durchzuführen, da die IG BE mit dem Politischen aus der Steinkohle zu kämpfen hatte und die IG CPK mit dem Rückgang der Papier- und Keramikindustrie in Deutschland. Durch die Fusion wollte man einen Teil der energieintensiven Unternehmen und die energieproduzierenden Unternehmen wie die Chemie unter eine Gewerkschaft packen und so durch die gemeinsam gestärkte Mitgliederzahl weiterhin politische Durchsetzungsstärke haben. Prägend war der damalige Vorsitzende der IG CPK Hubertus Schmoldt, der auch der erste Vorsitzende der IG BCE wurde. Er stand für einen pragmatischen und kompromissorientierten Gewerkschaftskurs und war einer der Befürworter der heutigen Sozialpartnerschaft.

Historisch ist der älteste Teil der IG BCE der Bereich des Bergbaus. Bereits 1860 zählten in Deutschland die Bergarbeiter zu den ersten Arbeitern, die sich zusammengeschlossen haben zu dem Vorläufer der heutigen Gewerkschaft. Sie versuchten mit Streiks ihre Arbeits- und Lebensbedingungen zu verbessern. Zuerst ohne Erfolge, dies änderte sich jedoch mit der Zeit. Eines der Highlights war das Durchsetzen der Montanmitbestimmung, also die paritätische Besatzung des Aufsichtsrates bei der Kohle- und Stahlindustrie. Dies hat die Mitbestimmung bis heute noch geprägt.

Den frühesten Verweis auf die IG CPK, der Vorgängergewerkschaft der IG BCE, konnten wir in einem Brief aus dem Jahr 1956 finden. Können Sie uns sagen, wann die Quarzwerke den ersten Tarifvertrag abgeschlossen haben?

Leider reicht unser Archiv nicht so weit in die Vergangenheit bei den Quarzwerken.

Archivdaten von vor dem 2. Weltkrieg zu bekommen über Gewerkschaften ist auch äußerst schwierig und kommt nicht häufig vor. Das liegt daran, dass am 2. Mai 1933 die Gewerkschaften von der NSDAP zerschlagen wurden. Mitglieder der SA stürmten in einer breit angelegten Aktion die Häuser der Gewerkschaften und beschlagnahmten ihr Vermögen und randalierten. Viele Funktionäre wurden verschleppt, misshandelt und in Konzentrationslager gebracht und teilweise auch ermordet. Dann hat die NS-Diktatur die „Deutsche Arbeitsfront“ eingerichtet, die ohne eine Möglichkeit der betrieblichen Mitbestimmung den Willen der NSDAP in den Betrieben durchgesetzt hat. Unter staatlicher Kontrolle erhöhte sich die Arbeitszeit dadurch auf etwa 50 Stunden pro Woche, ab 1943 auf bis zu 70 Stunden.

Erst nach dem 2. Weltkrieg und dem Fall der NS-Diktatur konnten freie Gewerkschaften wieder gebildet werden. Die durchschnittliche Arbeitszeit sankt dann auch auf 48 Stunden (6 Tage à 8 Stunden).

Die IG CPK wurde im Dezember 1946 noch während der Zeit der Besatzungszonen gegründet. In ihrer Anfangszeit ging es natürlich erst einmal darum, wie man aus den Fehlern der NS-Zeit lernen kann. Dadurch entstanden unter anderem auch der Deutsche Gewerkschaftsbund 1949.

Kurze Zeit später wurde das Tarifvertragsgesetz abgeschlossen und auch Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes, was die Verankerung der Koalitionsfreiheit beinhaltet. Dies ist das Grundrecht auf eine Gewerkschaftsmitgliedschaft in Deutschland und damit auch der Start der neuen gewerkschaftlichen Arbeit in Deutschland.

Von daher denke ich, dass der erste Tarifvertrag aller frühestens 1950 bei den Quarzwerken eingeführt wurde, realistischerweise eher ein paar Jahre später.

In den letzten hundert Jahren hat sich in Bezug auf „Work-Life-Balance“ so einiges getan. 1905 gab es eine 6-Tagewoche mit zehn Arbeitsstunden pro Tag. Mitte der 50er Jahren wurde dann auf die 5-Tagewoche umgestellt und 1993 haben die Quarzwerke mit der IG die 37,5 Stundenwoche eingeführt. Das ist jetzt ja auch schon 30 Jahre her. Können Sie ein bisschen was über die Entwicklung der Arbeitszeiten in diesem Zeitraum erzählen?

Die Bedeutung der Work-Life-Balance in Deutschland begann in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zu wachsen. Mit der zunehmenden Modernisierung der Arbeitswelt, der Technologisierung und der Veränderung der gesellschaftlichen Normen wurde das Thema Work-Life-Balance immer relevanter. Mit der Einführung von Computern und der Verbreitung des Internets konnten viele Menschen ihre Arbeit von zu Hause oder außerhalb des traditionellen Büros erledigen. Diese Flexibilität ermöglichte es den Arbeitnehmern, ihre Arbeitszeit besser an ihre persönlichen Bedürfnisse anzupassen.

Auch die Veränderung des Familienbildes spielt eine Rolle. Mit der Zeit stieg der Anteil an berufstätigen Frauen, weshalb sich das veraltete Rollenbild der Frau auch verändert hat. Familien wurden mit der Zeit immer selbstbestimmter und dies wurde beispielsweise durch das Elterngeld 2007 oder durch das Recht auf Teilzeit auch nochmal stärker unterstützt. Die gesellschaftlichen Wertvorstellungen änderten sich, und das Streben nach einer ausgewogenen Lebensführung zwischen Arbeit und Freizeit wurde stärker betont. Das zeigte sich auch bei den Mitgliedern der Gewerkschaften, denn bei den Tarifforderungen gab es immer häufiger Vorschläge für mehr Urlaub, bessere Arbeitsbedingungen und bessere Work-Life-Balance ein.

Mittlerweile erkennen auch viele Unternehmen die positiven Auswirkungen einer ausgeglichenen Arbeitszeitgestaltung auf die Produktivität, die Mitarbeiterzufriedenheit und die Gesundheit der Beschäftigten. Dadurch konnten wir in den 90er Jahren in immer mehr Unternehmen die Gleitzeit einrichten, was zuvor für viele Arbeitgeber noch ein unvorstellbares Modell war.

Aktuell sind wir zwar auf dem richtigen Weg was Arbeitszeit angeht, mit den ersten Unternehmen, die eine vier Tage Arbeitswoche ausprobieren und auch einer 35-Stunden-Woche. Teilweise geschieht dies, um attraktiv zu werden, für Beschäftigte oder aufgrund des Fachkräftemangels. Wir bekommen als Gewerkschaft aber teilweise auch einen gegenteiligen Effekt mit, dass Beschäftigte in einem Unternehmen an ihre Grenzen kommen, aufgrund des Fachkräftemangels.

Also man merkt, es gibt immer noch Herausforderungen, die bewältigt werden müssen, um eine bessere Balance zwischen Arbeit und Leben zu erreichen, denn für beispielsweise gesunde Schichtsysteme ist unsere aktuelle Arbeitszeit im Chemietarif immer noch zu lang.

Zum Abschluss möchten wir gerne noch wissen, was sind die aktuellen Themen der IG BCE und was wird in Zukunft interessant werden?

Wichtig ist für uns gerade vor allem die Industriepolitik. Wir stehen aktuell an dem Scheidepunkt der industriellen Transformation. Die nächsten Jahre entscheiden darüber, wie die Industriearbeitsplätze in Deutschland zukünftig aussehen werden oder ob es sie überhaupt noch geben wird. Dabei spielt die Digitalisierung und die Demografie, also Fachkräftemangel, eine große Rolle. Am Wichtigsten ist aber die Transformation in eine klimaneutrale Industrie und dort haben wir auch noch sehr große Baustellen mit der aktuellen Regierung. Was die Forderungen der IGBCE an die Politik sind, für eine smarte Transformation kann man übrigens hier nachlesen: https://igbce.de/igbce/projektzukunft/pz-chemieindustrie.

Und um dort gehört zu werden, brauchen wir natürlich immer Mitglieder. Je mehr Leute hinter unseren Forderungen stehen, desto mehr Gehör bekommen wir auch in der Politik. Genauso wie bei Tarifverhandlungen.

Nächstes Jahr wird wieder der Chemietarifvertrag verhandelt und um als starke Gewerkschaft vom Arbeitgeber wahrgenommen zu werden, brauchen wir auch starke Mitglieder.